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  • Deutsch für Ärzte bleibt Deutsch für Ärzte

    Donnerstag, den 24. November 2022 von Benjamin Kühn

    Über das Gendern wird seit einiger Zeit diskutiert und häufig auch gestritten. Aus aktuellen öffentlichen Umfragen geht jedoch hervor, dass die Mehrheit der Deutsch Sprechenden das Gendern ablehnt oder zumindest für unwichtig hält. Die Begründungen dafür sind meist, es sei überflüssig und es gäbe schließlich Wichtigeres, es störe den Lese- und Redefluss, es sei aufgezwungen und ändere außerdem nichts an der herrschenden Diskriminierung.

    Als Sprachinstitut möchten wir dazu Position beziehen und ausdrücklich erklären, dass es uns wichtig ist, dass sich alle angesprochen fühlen. In einer Gesellschaft, in der immer noch Menschen aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden, müssen wir darauf achten, allen gerecht zu werden und niemanden durch unsere Sprache auszuschließen oder als minderwertig darzustellen.

    Doch jetzt zur Linguistik. Es ist schon hinlänglich erklärt worden, dass das biologische Geschlecht (Sexus) nichts mit dem sprachlichen Genus zu tun hat. Im Deutschen gibt es drei Genera – Maskulinum, Femininum und Neutrum. Bei Objekten wird das Genus ohne erkennbaren Zusammenhang zum natürlichen Geschlecht verwendet – die Sonne, der Tisch, das Haus. So heißt es auch “der Busen”, obwohl er doch eigentlich weiblich ist, und “das männliche Glied”.

    Bei Lebewesen gibt es jeweils Oberbegriffe, deren Genus ebenfalls zufällig erscheint: das Kind, die Person, der Gast, das Tier, die Katze. Jeder dieser Oberbegriffe kann durch den Sexus genauer definiert werden, z.B. Mädchen oder Junge, männlicher oder weiblicher Gast, Katze oder Kater.

    Zudem kann das Genus auch zur Unterscheidung von Homonymen mit gleicher Schreibweise und Aussprache dienen, wie der Leiter und die Leiter, der See und die See, die Kiefer im Wald oder der Kiefer im Gesicht … Aber das führt schon zu weit.

    Ihren Ursprung hat die Debatte in der feministischen Sprachwissenschaft der Siebziger Jahre, die Genus und Sexus miteinander vermischte und das Phänomen der Synonymie ignorierte. Denn so, wie ein Gericht eine Institution oder etwas zum Essen sein kann, hat “Ärzte” zwei Bedeutungen: erstens “Männer, die den Beruf eines Arztes ausüben” und zweitens “Personen jeglichen Geschlechts, die den Beruf eines Arztes ausüben”. Oberbegriffe wie “Ärzte”, “Kunden” und “Katzen” werden geschlechterübergreifend verwendet, sonst wären Sätze wie “Über 50 Prozent der Kunden sind Frauen” oder “Herr Schmitz ist heute die Vertretung für Frau Busse” grammatikalisch überhaupt nicht möglich. Die feministischen Sprachkritiker behaupteten, durch Oberbegriffe wie “Kunden”, “Ärzte” oder “Lehrer” würden Frauen sprachlich unterdrückt, weil sie nicht erwähnt würden.

    Das ist sprachlich schlichtweg falsch. Bei einer Gruppe von 100 Ärztinnen ist es möglich, das Geschlecht zu spezifizieren, doch bei 99 Ärztinnen und einem Arzt wird der – geschlechtsneutrale – grammatikalische Oberbegriff “Ärzte” verwendet. Durch eine Einführung von Doppelbezeichnungen wie “Kundinnen und Kunden”, “Ärztinnen und Ärzte” wird die Sprache sexistisch, wo sie es vorher nicht war.

    Mit “Deutsch für Ärzte” sind selbstverständlich Personen jeden Geschlechts angesprochen, ob männlich, weiblich oder divers. Zugunsten der Lesbarkeit und Verständlichkeit verzichten wir auf Doppelbezeichnungen. Gender-Sternchen und andere Zeichen, die weder in der gültigen Rechtschreibung geregelt sind noch sich in der Alltagssprache etabliert haben, lehnen wir ab. Unserer Meinung nach trägt die Genderdebatte mehr zur gesellschaftlichen Spaltung bei, als dass sie benachteiligten Gruppen hilft. Gleichzeitig fordern wir zu mehr Toleranz in der Debatte auf: Man muss auch lernen zu akzeptieren, dass die von anderen verwendeten Sprachformen und Ausdrucksweisen nicht immer die sind, die man selbst für gut befindet. Die Entwicklung der Sprache ist ein lebendiger Prozess.

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